Lesung „Verbrannte Bücher – Verbannte Medien“

Im Begleitprogramm zur Ausstellung „Verbrannte Orte“ des Netzwerks gegen Rechts haben wir am 17. November 2023 in Wipperfürth die Lesung „Verbrannte Bücher – Verbannte Medien“ veranstaltet. Mit dieser Lesung schlugen wir einen Bogen von der kulturellen Barbarei der Nazis vor 90 Jahren zu Angriffen auf Medien, Literatur und Wissenschaft in der heutigen Zeit.

Wir waren zu Gast im „Haus der Familie“, dessen Leiter Thomas Dörmbach uns bei der Durchführung tatkräftig unterstützt hat – vielen Dank dafür! Das Interesse war groß, der Veranstaltungsraum war voll besetzt.

Durch den Abend führten Lucille Jenders und ihr Großvater Gerhard Jenders.

Für diejenigen, die nicht dabei sein konnten, folgt hier der Text der Moderation. Die vorgetragenen Texte sind verlinkt (soweit möglich) oder zusammengefasst.

Guten Abend, ich bin Gerhard Jenders, der Vorsitzende des Vereins „Unser Oberberg ist bunt, nicht braun“ und ich freue mich, Sie alle und Euch heute Abend hier begrüßen zu dürfen. Unsere Veranstaltung heute ist Teil des Begleitprogramms zur Ausstellung „Verbrannte Orte“ in der Stadtbibliothek Hückeswagen – über weitere Termine im Rahmen des Begleitprogramms können Sie sich auf den ausliegenden Flyern informieren.

Ein ganz herzlicher Dank geht an das „Haus der Familie“ und insbesondere an Herrn Dörmbach, der uns die Räumlichkeiten hier im Haus zur Verfügung stellt und uns bis gerade eben auch noch tatkräftig beim Aufbau unterstützt hat.  Vielen Dank auch an diejenigen, die uns heute als Lesende unterstützen – wir werden sie im Laufe der Veranstaltung vorstellen. Schon jetzt möchte ich aber meine Enkelin Lucille Jenders vorstellen, die die Moderation des heutigen Abends mit mir zusammen macht.

Am 10. Mai dieses Jahres war der 90. Jahrestag der großen Bücherverbrennungen in Deutschland, die damals vor allem von der Nazi-Studentenschaft organisiert worden waren. Hervorragende Texte aus der deutschen Kultur und Wissenschaft wurden damals in die Flammen riesiger Scheiterhaufen geworfen, begleitet von markigen „Feuersprüchen“. Doch die Liste der im Mai 1933 verbrannten Bücher war noch vergleichsweise kurz, später umfasste die „Liste des schädlichen und unerwünschten Schrifttums“, also der Bücher, die aus den Buchhandlungen, den Schulen und den öffentlichen Bibliotheken zu entfernen waren, 150 Seiten.

Joachim Ringelnatz     Avant-propos (Schreiben ohne Zensur)        Ute Radermacher

Was Ihnen Ute Rademacher soeben so schön vorgetragen hat, war ein Gedicht von dem Kabarettautoren Joachim Ringelnatz. Besonders bekannt ist Ringelnatzes Unsinnspoesie und trotzdem war seine kritische Schreibweise für die Nazis genug, einige seiner Werke komplett zu verbannen. Außerdem wurde dem Künstler ein Auftrittsverbot erteilt, wodurch er seine wichtigste Einnahmequelle verlor. Ute Rademacher wird Ihnen im Laufe des Abends noch weitere Werke von ihm vorstellen.

Ein weiterer von der Bücherverbrennung betroffener Autor war Schriftsteller und Journalist Kurt Tucholsky. Tucholsky war einer der Schriftsteller, dessen gesamte Werke verboten und verbrannt wurden. Bereits 1929 fand Tucholsky dauerhaft Asyl in Schweden, verfolgte aber weiterhin die politischen Geschehnisse in Deutschland. Bei der Verbrennung seiner Werke sprachen die Nazis den Feuerspruch „Gegen Frechheit und Anmaßung, für Achtung und Ehrfurcht vor dem unsterblichen deutschen Volksgeist! Verschlinge, Flamme, auch die Werke von Tucholsky und Ossietzky“. Aber jetzt können Sie sich selbst ein Bild davon machen wie „frech“ und „anmaßend“ seine Schriften wirklich waren, denn nun folgen zwei Texte von Tucholsky, vorgetragen von Gerd Wilden.

Kurt Tucholsky    Die Flecke    An das Baby    Gerd Wilden

Die Lyrikerin Else Lasker-Schüler stammte hier aus dem Bergischen, aus Wuppertal. Sie war 1869 geboren und als Vertreterin der Avantgarde und des Expressionismus ihrer Zeit voraus. Ihre Bücher wurden in Wuppertal schon am 1. April 1933 von Schülern öffentlich verbrannt, sie wurde tätlich angegriffen und bedroht, so dass sie schon am 19. April 1933 aus Deutschland floh. Zunächst nach Zürich, von dort später nach Jerusalem. Sie wäre gerne zurück nach Europa gekommen, doch das gelang ihr nicht. Sie starb einsam und verarmt im Januar 1945 in Jerusalem. Gudrun Martineau trägt uns jetzt „Mein blaues Klavier“ vor, ein Gedicht, das Else Lasker-Schüler im Exil in Erinnerung an ein kleines Spielzeug-Klavier ihrer Kindheit geschrieben hatte.  

Else Lasker-Schüler  Mein blaues Klavier    Gudrun Martineau

Die in Polen geborene Schriftstellerin Mascha Kaleko veröffentliche bereits mit nur 18 Jahren erste Texte in verschiedenen Zeitungen. 1933 veröffentlicht sie mit 21 Jahren ihr erstes Buch „Das lyrische Stenogrammheft“. Als kurze Zeit später ein Schreibverbot gegen sie verhängt wird, findet sie Asyl in New York. Dort schrieb Sie 1942 das Gedicht „Nachtgedanken“, das Ihnen Monica Buchfeld nun vorstellt.

Mascha Kaleko    Nachtgedanken    Monica Buchfeld

Joachim Ringelnatz    Ein Pinsel mit talentvollen Borsten Ein bettelarmer braver Mann    Ute Radermacher

Nelly Sachs hat schon früh angefangen zu schreiben und als junge Frau und Jüdin in der Zeit des Nazi-Terrors das „Leben unter Bedrohung“ kennengelernt. Sie konnte erst 1940 emigrieren und trug ihr Leben lang die Schrecken des Terrors als Last auf ihrer Seele . Iris Traudisch bringt sie uns jetzt näher.

Nelly Sachs    Iris Traudisch

Der den meisten Leuten als Kinderbuchautor bekannte Erich Kästner ging 1933 selbst zur Bücherverbrennung um „dieser theatralischen Frechheit beizuwohnen“. Obwohl seine schriftstellerische Tätigkeit stark eingeschränkt wurde blieb Kästner während der NS-Diktatur in Deutschland, und erhob nach dem Krieg seine Stimme für Frieden und Demokratie. Monica Buchfeld wird jetzt zwei Texte vorstellen, die Erich Kästner 1928 verfasste. 

Erich Kästner: Zeitgenossen haufenweise    Kennst du das Land, wo die Kanonen blühn?         Monica Buchfeld

Joachim Ringelnatz:      Gedicht aus der Sammlung „Nachgelassene Gedichte“    Ute Radermacher

Bert Brecht gehörte zu den von den Nazis am meisten gehassten Autoren, gerade deshalb möchten wir den ersten Teil unserer Lesung mit zwei seiner Gedichte beenden. Es sind zwei Texte, die in einfacher Sprache das ausdrücken, was wir uns wünschen. Was für ein Land wir uns wünschen, sagt Brecht in der Kinderhymne    Was für ein Verhältnis der Menschen untereinander wir uns wünschen, steht im Lied vom Kelch

Auch Sigmund Freuds wissenschaftliche Werke wurden verbrannt. Ihnen war sogar ein eigener „Feuerspruch“ gewidmet. „Gegen seelenzerfasernde Überschätzung des Trieblebens, für den Adel der menschlichen Seele! Ich übergebe der Flamme die Schriften des Sigmund Freud“. Ein kurzes Beispiel seiner Arbeit, das zugleich die Überleitung zum zweiten Teil unserer Lesung bildet, stellt jetzt Gudrun Martineau vor:

In den 1930er Jahren wurde Homosexualität sowohl in Deutschland mit Paragraf 175 als auch in Österreich mit Paragraf 129 b strafrechtlich verfolgt. Homosexuelle wurden als kranke und behandlungsbedürftige Menschen eingestuft. Im Jahre 1935 fragte eine besorgte Mutter Freud brieflich um Rat bezüglich ihres homosexuellen Sohnes. Freud schrieb in seinem Antwortbrief: „Homosexualität ist kein Vorteil, aber es ist nichts, wofür man sich schämen müsste, kein Laster, keine Entwürdigung. Es ist auch keine Krankheit.“ Weiter befand Freud: „Es ist eine große Ungerechtigkeit, Homosexualität als ein Verbrechen zu verfolgen, und eine Grausamkeit auch.“

2. Teil: Verbannte Medien

Vor 90 Jahren wurden Bücher verbrannt – was ist heute? Wir haben exemplarisch zwei Themen ausgewählt, um an ihnen deutlich zu machen, wie auch heute versucht wird, Schriften und andere Medien zu verbannen und Menschen zu diskreditieren.

Anstoß für das Thema „Queer“ war zum einen die Tatsache, dass die Nazis kurz nach ihrer Machtübernahme das von Magnus Hirschfeld geleitete „Institut für Sexualforschung“ überfielen und dort fast alle Schriften verbrannten. In diesem Institut war Menschen geholfen worden, die auf der Suche nach ihrer Identität waren, die Forschung des Instituts hatte eine Menge über nicht-binäre Identitäten herausgefunden. Das Zerstörungswerk der Nazis hatte tatsächlich erreicht, dass fast das gesamte Wissen zu dem Thema verloren ging, dass die Akzeptanz transsexueller Lebensentwürfe wieder bei Null beginnen musste. – Aktueller Anstoß für das Thema Queer war eine Lesung aus Kinderbüchern in München-Bogenhausen „Wir lesen euch die Welt, wie sie euch gefällt“ (eine Draglesung für Kinder im Juni 2023). Die Ankündigung dieser Lesung hatte zu Aufruhr und Protest aus Kreisen der AfD geführt. 

Ein Text konnte nicht in München gelesen werden, weil die Autorin Todesdrohnungen erhalten hatte. Diesen Text stellt jetzt Marie Brück vor:

„ICH BIN EIN MÄDCHEN!
Das weiß ich schon, seit ich vier oder fünf Jahre alt war. Das Problem dabei ist, dass mein Körper so aussieht, wie das bei einem Jungen erwartet wird. Aber auch wenn mein Körper so aussieht, wie der von Jungs, bin
ich in meiner Seele und meinem Herzen ein Mädchen. Deshalb war es auch schlimm für mich, dass mich alle als Jungen und mit einem Jungennamen angesprochen haben.
Lange konnte und wollte ich es meinen Eltern nicht sagen, dass ich in Wirklichkeit ein Mädchen bin, weil ich Angst hatte, dass sie es nicht verstehen…“ (Julana Victoria Gleisenberg)

„DIe Autorin, Julana Victoria ist 13 Jahre alt und ein hübsches, aufgewecktes Transmädel. Ich bewundere ihren Mut über sich und ihren Weg in ihrer Sprache zu schreiben. Solche Reflektion in diesem Alter ist selten und gesund. Aber leider kennen Rechte offenbar keinen Schutz unserer Kinder. Einer öffentlichen Lesung aus ihrem Büchlein im Juni blieb Julana wegen Drohungen und Anfeindungen fern. Das verstehe ich mehr als gut. Ich habe eine sehr vergleichbare Geschichte und ja, auch ich hätte schon weit früher als mit 13 Jahren sagen können wie ich wirklich fühle. Ich habe mich damals nicht getraut. Dann übernehme ich das lesen eben für sie heute! Und – da bin ich super empfindlich – dem rechten Gesindel eine klare Ansage: vergreift Euch nicht an unsern Kindern!“ (Marie Brück)

„Puppen sind doch nicht für Jungen“ und andere Bücher der Lesung in München-Bogenhausen stellt  Iris Traudisch vor

„Ich erinnere mich sehr gut, dass mein Bruder sich im Vorschulalter auch eine Puppe zum spielen gewünscht hatte. Er hat sie damals ohne Probleme bekommen. Das ist über 60 Jahre her – schon merkwürdig, dass das Thema jetzt zu Aufruhr führt.“ (Gerhard Jenders

Kim Schröter erzählt uns jetzt von einem Kinderbuch aus den USA.

 and tango makes three“ erzählt die wahre Geschichte von zwei männlichen Pinguinen im New Yorker Zoo, die ein Paar gebildet haben. Weil sie kein eigenes Ei haben, das sie ausbrüten können, bekommen sie ein verwaistes Ei. Das brüten sie gemeinsam aus und ziehen das Küken gemeinsam groß. „All kinds of love can make a family“ steht auf dem Buch, das mehrfach mit Preisen ausgezeichnet wurde, aber auch zu den am häufigsten aus Bibliotheken entfernten Büchern zählt. (Kim Schröter)

Leider sind die USA nur in Teilen weltoffen und tolerant. Im sonnigen Florida sieht es sehr düster aus, wie aus einem Interview der „Erziehung und Wissenschaft“ mit Andrew Spar hervorgeht.

Auszüge des Gesetzes, das seit dem 1. Juli 2023 in Florida gilt, sind hier zu lesen.

Intoleranz kann zu Hass führen, Hass kann tödlich sein. Das haben wir hier in Deutschland noch vor gut einem Jahr erlebt:

Im Prozess um die tödliche Attacke auf Malte C. beim Christopher Street Day in Münster ist der Angeklagte am Mittwoch (22. März 2023) zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt worden.

Der Angeklagte Nuradi A. muss für fünf Jahre in Haft. Das Landgericht Münster sprach den 20-Jährigen wegen Körperverletzung mit Todesfolge für schuldig. Zusätzlich zur Jugendstrafe ordnete das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt für suchtkranke Straftäter an.

Der gebürtige Tschetschene hatte im Prozess gestanden, den trans Mann mit einem Faustschlag beim Christopher Street Day in Münster niedergestreckt zu haben. Malte C. war zuvor schützend eingeschritten, als der Verurteilte zwei lesbische Frauen beschimpft und beleidigt hatte. Er starb Tage später an den Folgen eines Schädelhirntraumas durch den Aufprall auf den Boden.

Quelle: https://www1.wdr.de/nachrichten/westfalen-lippe/plaedoyers-prozess-malte-c-100.html Stand: 22.03.2023, 20:00 Uhr

Die Nazis hatten Freuds Werke verbrannt, sie hatten Einsteins Erkenntnisse als „Bolschewisten-Physik“ diskreditiert. Heute wird Einsteins allgemeine Relativitätstheorie bei jeder Nutzung eines Navi bestätigt. Da sollte man doch meinen, dass die Wissenschaft anerkannt ist. Leider ist das nicht so. Medien, die wissenschaftliche Fakten publizieren, werden als „Lügenpresse“ diffamiert, selbst Wetter-Moderatoren werden angegriffen.

Jetzt haben wir Beispiele aus der Vergangenheit, aber auch aus der Gegenwart. Hier werden Autoren bedroht, in den USA werden ganze Bücher in Schulen verboten. Wo soll das hinführen? Wie soll bei so einer Gegenwart unsere Zukunft aussehen? (Lucille)

Es gibt Menschen – auch aus meiner Generation – , die deutlich Position beziehen. Einer von ihnen ist der ehemalige Innenminister Gerhart Baum. In einem Interview mit dem Kölner Stadt-Anzeiger vom 10. August 2023 sagt er klare Worte und spricht zugleich eine Hoffnung aus: (Gerhard)

Viele wenden sich aus Überzeugung der AfD zu. Das ist nicht bloßer Protest. Übrigens waren ja schon dauerhaft zehn Prozent Stimmenanteil besorgniserregend – zusammen mit einer Radikalisierung der gesellschaftlichen Mitte. Natürlich muss man über Strategien reden,  um Menschen auch wieder zurückzuholen. Ich frage mich dann auch: Wo sind hier eigentlich die angesehenen, führenden Intellektuellen? Menschen mit moralischer Autorität. Die hätten jetzt auch eine Aufgabe: Partei nehmen – nicht für eine bestimmte politische Kraft, aber für die Demokratie.

Ich habe keine Altersmilde, Ich neige zum Alterszorn. Aber um das auch klar zu sagen: Ich bin trotz aller Warnungen nicht ohne Hoffnung für unsere Demokratie. Wir sind stark. Wir müssen diese Stärke nur entwickeln. Es gibt die Menschen, die bereit sind,  die Demokratie zu verteidigen. Wir müssen sie nur aufmerksam machen, dass der Punkt erreicht ist. Wir schaffen das. Aber wir müssen kämpfen.

 Dass wir zusammenhalten müssen, dass wir eins sind, das hat auch Rebecca Hänsch erkannt. Sie hat mit ihrem Song „Wir sind eins“ sogar den Jugendkulturpreis gewonnen und wir freuen uns sehr sie heute hier zu haben.

Rebecca Hänsch  „Wir sind eins“ :

|: Wir sind doch alle eins, wir wollen doch alle das gleiche, wollen Freiheit und Frieden, wollen Leben und Lieben,zusammen sein 😐
|: Und diese ganzen Probleme wie Krisen und Kriege halten uns nur auf. Mir kann doch keiner sagen dass das jemand will, diesen Hass und den Schmerz, die Angst und die Wut 😐
|: Müssen zusammenhalten – als eine Generation, die die andere stützt, keiner mehr allein, bitte helft doch mit! 😐

Bitte helft doch mit!“ – diesen Appell für eine gemeinsame Arbeit an einer solidarischen Zufunft übernahmen auch die Veranstaltenden für ihr Schlusswort.