Das Verbrechen von Hommerich

In Hommerich (an der damaligen Bahnstrecke Immekeppel – Lindlar) gab es während des zweiten Weltkriegs ein Kriegsgefangenenlager. Dieses Lager ist in einer Aufstellung des „Amtsbezirks Engelskirchen“ aus dem Jahr 1949 aufgeführt, dort wird unter „Besondere Einzelheiten“ kurz und knapp „keine“ vermerkt.

Originaldokument: https://collections.arolsen-archives.org/de/archive/2-2-0-1_9073200/?p=1&doc_id=82424138

Auch eine Angabe des „Reichsbahnassistenten“ in Hommerich aus 1949 erwähnt „keine Beanstandungen“:

Originaldokument: https://collections.arolsen-archives.org/de/archive/2-2-0-1_9073200/?p=1&doc_id=82424143

Im Lager waren zunächst französische Kriegsgefangene interniert, Ende 1941 kamen dann russische Gefangene. Die NS-Wehrmacht hatte im Juni 1941 die Sowjetunion überfallen, russische Soldaten, die in Kriegsgefangenschaft kamen, wurden entsprechend der NS-Ideologie als „Untermenschen“ angesehen und äußerst schlecht behandelt. Sie bekamen wenig oder gar nichts zu essen, sie erhielten selten medizinische Versorgung. So waren sie in einem miserablen Gesundheitszustand, wenn sie in den Gefangenenlagern in Deutschland ankamen.

Was in der Zeit von Mitte Dezember 1941 bis Februar 1942 im Lager Hommerich geschah, hat im Mai 1950 das Landgericht Köln beschäftigt. Die „Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam“ (Stiftung für die wissenschaftliche Untersuchung nationalsozialistischer Verbrechen in Amsterdam) hat Gerichtsurteile zu NS-Verbrechen online zugänglich gemacht. Auf Seite 771ff in Band VIII der „Westdeutschen Gerichtsentscheidungen“ ist das Urteil des LG Köln vom 22.5.1950 im Prozess gegen den damaligen Lagerführer F. dokumentiert.

Auszüge der Schilderung der Zustände im Lager:

„… Kurz nach der Übernahme des Lagers durch den Angeklagten kam ein Transport von etwa 100 russischen Kriegsgefangenen an, die in dem Lager untergebracht wurden und als Streckenarbeiter an der dortigen Reichsbahnstrecke eingesetzt werden sollten. Diese Gefangenen befanden sich in einem sehr schlechten Gesundheits- und Ernährungszustand, so dass sie zum grössten Teil überhaupt nicht arbeitsfähig waren. Mindestens seit ihrer Gefangennahme hatten sie ordnungsmässige Verpflegung nicht mehr erhalten. Der damalige Bauführer, der Zeuge O., der die Streckenarbeiten leitete, wies den Angeklagten darauf hin, dass man den Russen zunächst einige Zeit Ruhe gönnen müsse, damit sie sich erholen könnten und wieder arbeitsfähig würden. Hierauf ging der Angeklagte jedoch nicht ein. Er bewilligte nur einen Tag Arbeitspause und liess dann die Gefangenen sofort zur Arbeit an der Strecke führen, obwohl sie so schwach waren, dass sie sich gegenseitig festhielten….“

„…Der Angeklagte selbst trieb die Russen mit Kolbenstössen, Stockschlägen und Fusstritten zur Arbeit. Wenn er zur Kontrolle auf der Arbeitsstätte erschien, schlug er ohne jede Veranlassung mit einem Knüppel oder sonstigen Gegenstand auf die Leute ein. Verschiedentlich schlug er sie sogar blutig. Auch innerhalb des Lagers betätigte er sich in gleicher Weise. So schlug er z.B. einmal einen Russen mit einer Bierflasche über den Kopf…. Einem jungen Russen von etwa 16 Jahren, der im Sterben lag, verweigerte der Angeklagte die Brotration. Der Gefangene starb am Abend des gleichen Tages...

„…Wenn die Zeugin H. ihm Vorhaltungen wegen der Behandlung der Gefangenen machte, pflegte der Angeschuldigte zu erklären, es handele sich um Bolschewiken und Feinde, die verrecken müssten. Als eines Tages ein unbekannter Zivilist im Lager erschien, trat der Angeklagte in Gegenwart dieses Besuchers die im Kreis stehenden Russen der Reihe nach vor den Bauch, bis alle umgefallen waren, um dem Besucher zu zeigen, wie schwach die Leute waren…“

Selbst vor einer willkürlichen Erschießung schreckte der Täter nicht zurück:

An einem Tage im Januar 1942, als die Gefangenen morgens zur Arbeit im Lager angetreten waren, wurde ein Russe, der vor der Front auf dem Boden lag und mit gefalteten Händen um Gnade bat, von dem Angeklagten kurzerhand niedergeschossen. Der Angeklagte nahm einem Posten das Gewehr aus der Hand und erschoss den am Boden liegenden Russen. Dem Arzt Dr. K., der die Leichenschau vorzunehmen hatte, und der nach dem Grund der Erschiessung fragte, erklärte der Angeklagte, das gehe ihn nichts an….“

Das Verhalten des Lagerführers wurde in der Umgebung bekannt, weil auch deutsche Zivilarbeiter gemeinsam mit den russischen Kriegsgefangenen an der Bahnstrecke arbeiteten. Es kam Empörung und Unruhe auf, so dass sich die zuständigen Behörden gezwungen sahen, den Lagerführer F. Ende Februar an ein anderes Lager zu versetzen.

Im Laufe der zweieinhalb Monate, die F. in dem Lager sein Unwesen trieb, sind etwa vierzig Menschen zu Tode gekommen. Mindestens die Hälfte von ihnen wurde zunächst auf einer Lichtung an der Straße von Hommerich nach Ebbinghausen verscharrt, die anderen wurden auf dem Friedhof in Hohkeppel begraben.

Im Laufe der Nachkriegszeit wurden die Toten zusammen mit anderen in ein Massengrab auf dem Friedhof in Engelskirchen umgebettet. Die Tafel dort gibt keine Auskunft über das Verbrechen, dem sie zum Opfer gefallen waren. Es heißt dort lediglich: “ Hier liegen die Gebeine von dreiundfünfzig im Krieg in den Jahren 1941 – 1945 verstorbenen russischen Menschen“

Der Lagerführer F. wurde schließlich (nachdem das Urteil vom Mai 1950 vom BGH zurückverwiesen wurde) am 19. Oktober 1951 rechtskräftig verurteilt: „Der Angeklagte wird unter Einbeziehung der durch Urteil des Schwurgerichtes Köln vom 22.Mai 1950 wegen Verletzung der Obhutspflicht rechtskräftig erkannten Gefängnisstrafe von einem Jahr und sechs Monaten wegen Totschlags zu einer Gefängnisstrafe von drei Jahren verurteilt.“

Das vollständige Urteil der ersten Verhandlung ist hier zu lesen, das Urteil des BGH hier und das Urteil vom 19. 10.1951 hier. Es lohnt sich nachzulesen!