Boykott gegen jüdische Geschäfte und Praxen

Stadtrundgang in Gummersbach zur Erinnerung und Mahnung

Ein sehr schöner Bericht über den Stadtrundgang ist bei Oberberg Aktuell erschienen.

Wir hatten 30 Anmeldungen für unseren Stadtrundgang mit Gerhard Pomykaj – dann gab es am 1.4.2023 Dauerregen. Klappt das trotzdem? Sollten wir absagen? Wir haben nicht abgesagt und es kamen statt der 30 über 40 Menschen, um zu erfahren, was damals in Gummersbach geschah und um zu zeigen, dass wir die Verbrechen der Nazis nicht vergessen dürfen, damit so etwas nie wieder geschehen kann.

Treffpunkt war der Wilhelm-Heidbreder-Platz. Wegen des Wetters verlegten den Auftakt kurzerhand in den Eingangsbereich ders Ladenzentrums „Alte Post“.

Zunächst gab es allgemeine Einführungen zur Rolle des Antisemtismus:

Gerhard Pomykaj informierte über die jüdische Bevölkerung in Gummersbach: Die Gummersbacher Jüdinnen und Juden waren so unterschiedlich wie die Bevölkerung allgemein: Es gab religiöse Menschen wie die Familie Löwenstein, die zur Synagoge nach Meinerzhagen fuhren, und andere, für die Religion keine Rolle spielte.

Die beiden Bekleidungsgeschäfte „Textilhaus Löwenstein“ und „Volksbekleidungshaus“ lagen an der Kaiserstraße und wurden durch die Boykottmaßnahmen in den Ruin getrieben.

Rundgang im strömenden Regen: Gerhard Pomykaj erläutert das Schicksal des Textilhändlers Siegmund Löwenstein, dessen Geschäft sich 1933 an der Stelle befand, an der jetzt der „New Yorker“ ist. Löwenstein war in Gummersbach verankert, er war Mitglied im Schützenverein – trotzdem stand die SA am 1.4.1933 vor seinem Geschäft. In der Folge musste er sein Geschäft aufgeben. Auch der Schützenverein hatte ihn 1933 ausgeschlossen.

In einem Grußwort an den Stadtrundgang hat sich der Gummersbacher Schützenverein vom Verhalten des damaligen Vorstands distanziert:

Die über 40Teilnehmer*innen des Rundgangs konnten sich zum Glück während des Vortrags unterstellen.
Dort, wo jetzt das verschieferte Haus steht, befand sich 1933 das „Volksbekleidungshaus„, das ebenfalls unter die Boykottmaßnahme der Nazis fiel.

Nicht nur Geschäfte, auch Arztpraxen wurden boykottiert. In Gummersbach war das die Praxis Simons im Hause Bismarkstraße 1:

An dieser Stelle stand 1933 das Haus, in dem das Ehepaar Dr. Sophie und Dr. Alfred Simons seine Arztpraxis hatte. Dr. Alfred Simons verlor als Jude am 22. April 1933 seine Kassenzulassung, Dr. Sophie Simons durfe als Nichtjüdin weiter praktizieren, verlor aber in Folge des Boykotts die Hälfte ihrer Patient*innen.

Gerhard Pomykaj schilderte eindrücklich, wie die Familie Simons immer weiter ausgegrenzt wurde. Der Sohn wurde in der Schule gemobbt und durfte u.a nicht mehr am Schwimmunterricht teilnehmen.

Das Kino „Central-Theater“ stand auf den Gelände des heutigen Einkaufszentrums „Bergischer Hof“. Hier konnten wir kurz im Trockenen stehen, während Gerhard Pomykaj das Schicksal der Brüder Karl und Jan-Baptist Heinrich beschrieb. Die beiden katholisch getauften Männer wurden von den Nazis als „Juden-Bastarde“ beschimpft, weil ihre Mutter jüdischer Abstammung war. Sie setzten sich gegen die Nazis zur Wehr und wurden ins Gefängnis geworfen, ihr Kino wurde unter „Zwangsverwaltung“ genommen. Johann Baptist Heinrich war so unerschrocken, dass er noch bei seiner Verhaftung die Nazis verhöhnte. Die Brüder Heinrich überlebten die Verfolgung, nach 1945 gelang es ihnen unter großen Schwierigkeiten, ihr Kino zurück zu bekommen.

Letzte Station des Stadtrundgangs war der Simonsplatz an der Marktstraße. Der Platz ist – beispielhaft für alle Verfolgten – der Familie Simons gewidmet.

Hulda Simons, die Mutter von Alfred Simons, war bei der Emigration der Familie Simons Anfang 1939 in Gummersbach geblieben. Die Familie ging davon aus, dass ihr als alter Frau keine Gefahr drohe. Im November 1944 wurde sie in Theresienstadt ermordet.
Die Stadt hatte sich schwer getan, einen Gedenkort für die in Gummersbach verfolgten Jüdinnen und Juden zu finden. Schließlich wurde der Gedenkstein am alten Marktplatz an der Marktstraße aufgestellt – nicht, weil dort die Familie Simons gewohnt hätte, sondern weil es dort keine Anwohner gab, die ihre Adresse hätten ändern müssen.
Bei der Einweihung des Gedenksteins 1995 war Klaus Simons, der Sohn von Alfred und Sophie Simons, zugegen. Seine Reisekosten aus Australien, wohin die Familie Simons 1939 geflohen war, mussten aus privaten Spenden finanziert werden.
Inzwischen gibt es Stolpersteine an der Seßmarstraße 5, wo die Familie Simons zuletzt gewohnt hatte.

Die Informationen zur Verfolgung der Jüdinnen und Juden in Gummersbach haben Gerhard Pomykaj und sein Nachfolger Manfred Huppertz in einer umfangreichen Dokumentation zusammengetragen. Sie ist auf der Homepage der Stadt Gummersbach herunterzuladen. Es lohnt sich unbedingt!