UNTER DEN LINDEN statt HINDENBURG!

Vor 90 Jahren hat der damalige Reichspräsident Paul von Hindenburg die Nazis an die Macht gebracht: Am 30 Januar 1933 ernannte er Adolf Hitler zum Reichskanzler.

Wir möchten dieses Datum zum Anlass nehmen, an den Rat der Stadt Gummersbach zu apellieren, der „Hindenburgstraße“ in Gummersbach ihren alten Namen „Unter den Linden“ zurück zu geben.

Wie viele rheinische Städte hat auch Gummersbach im Jahr 1917 Hindenburg durch eine Straßen-Benen­nung geehrt und seine Hauptstraße „Unter den Linden“ in „Hindenburgstraße“ umbenannt. Dies entsprach der damaligen Stimmung.

In der Folge hat sich Hinden­burg im Jahr 1933 bewusst zum Steigbügel­halter Hitlers gemacht, nicht nur durch die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler am 30. Januar 1933. Er spielte auch eine wichtige aktive Rolle dabei, politisch und medial die Verbindung von der Mitte der Gesellschaft zu den National­sozialisten herzu­stellen. Er hat Hitler beim „Tag von Potsdam“ am 21. März 1933 „salonfähig“ gemacht. An diesem Tag wurden die ersten KZs eingerichtet – Hindenburg als Reichspräsident hat das hingenommen und ist daher mit dafür verantwortlich, ebenso wie für die pogromhafte Boykottaktion gegen jüdische Geschäfte und Praxen am 1. April 1933, durch die in Gum­mersbach die Arztpraxis Dr. Simons die Hälfte ihrer Patientinnen und Patienten verlor.

Die Benennung einer der wichtigsten Geschäftsstraßen in der Kreisstadt Gummersbach nach Hindenburg passt nicht zu einer modernen, weltoffenen Kultur. Auch andere Städte in Deutschland haben im Laufe der letzten Jahre Hindenburgstraßen und -plätze umbenannt. Die Lindenstadt Gummersbach hat mit dem alten Namen „Unter den Linden“ eine hervorragende Alternative.

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https://weact.campact.de/petitions/hindenburgstrasse-in-gummersbach-umbenennen

Fakten zu Hindenburg (als pdf hier herunterladen)

Wo kam Hindenburg her?

Hindenburg wurde am 2.10.1847 in Posen (damals Preußen, heute mit dem Namen Poznan zu Polen gehörig) geboren, er entstammte einer ostpreußischen Adelsfamilie. Er absolvierte eine typische Militär-Ausbildung und machte Karriere beim preußischen, später beim deutschen Militär, 1905 wurde er zum General befördert.

War Hindenburg ein Kriegsheld?

Wir fühlen uns nicht berufen, „militärische Leistungen“ zu beurteilen. Hier die Fakten:

Im Ersten Weltkrieg wurde Hindenburg als Oberbefehlshaber in Ostpreußen eingesetzt. Dort fand Ende August die „Schlacht bei Tannenberg“ statt, die mit einem Sieg der deutschen Truppen endete. Dieser Sieg wurde Hindenburg als Verdienst zugerechnet.

Prof. Wolfram Pyta stellt in der umfassenden Biografie „Hindenburg – Herrschaft zwischen Hohen­zollern und Hitler“ klar: „Hindenburgs Anteil an den Planungen tendiert gegen Null, wenngleich er später erhebliche Anstrengungen unternahm, sich den Sieg von Tannenberg gutschreiben zu lassen.“1 Zu Hindenburgs Rolle während der Schlacht gibt Pyta den für die strategischen Planungen zuständigen Generalstabsoffizier Hoffmann wieder: „Von Oberst Max Hoffmann wird überliefert, er habe späteren Besuchern das Quartier Hindenburgs mit dem Hinweis gezeigt, dies sei der Ort, an demHindenburg vor der Schlacht von Tannenberg, danach und auch während dieser Schlacht geschlafen habe.2

Woher kam die Hindenburg-Verehrung?

Hindenburg betrieb eine geschickte „mediale Selbstinszenierung3, er nutzte sogar die damals höchst populären Schriftsteller Ludwig Ganghofer und Sven Hedin, um seinen Helden-Mythos zu verbreiten. Eine heldenhafte Identifikationsfigur kam den Regierenden angesichts hunderttausender Toter in den Schützengräben sehr gelegen, um der „Kriegsmüdigkeit“ entgegen zu wirken. Hindenburg wurde 1916 mit Ludendorff zusammen Chef der Obersten Heeresleitung und übte damit nahezu diktatorische Macht aus. Es gelang ihm, eine nationalistische Stimmung in weiten Teilen der Bevölkerung aufrecht zu er­halten, was dazu führte, dass viele deutsche Städte – wie auch Gummersbach – ihn zum Ehrenbürger ernannten und schon zu Lebzeiten wichtige Straßen nach ihm benannten. So wurde 1917 in Gummers­bach der Boulevard „Unter den Linden“ in „Hindenburgstraße“ umbenannt.

Welche Rolle spielte Hindenburg nach dem Ende des ersten Weltkriegs?

Mit der Niederlage der deutschen Truppen wollten sich große Teile der Militärführung, der Monarchisten und der Nationalisten nicht abfinden. Sie erfanden die „Dolchstoß-Legende“: Eigentlich seien die deut­schen Soldaten „im Felde unbesiegt“ gewesen, doch finstere Mächte – „sozialistische Agitatoren“, „vaterlandsfeindliche Schurken in der Heimat“, „die Juden“ – seien ihnen in den Rücken gefallen, hätten sie „von hinten erdolcht“. Damit konnten sich die Befehlshaber von ihrer Verantwortung für millionen­fachen Tod, für die politischen und wirtschaftlichen Konsequenzen der Niederlage nach dem Angriffs­krieg reinwaschen. Hindenburg selbst hat diesen Mythos massiv unterstützt. „Wie Siegfried unter dem hinterlistigen Speerwurf des grimmigen Hagen, so stürzte unsere ermattete Front; vergebens hatte sie versucht, aus dem versiegenden Quell der heimatlichen Kraft neues Leben zu trinken.4

Wie wurde Hindenburg Reichspräsident in der Weimarer Republik?

Bei den ersten demokratischen Wahlen eines Staatsoberhauptes in Deutschland wurde der Sozial­demokrat Friedrich Ebert gewählt. Er starb plötzlich im Februar 1925. Für die Neuwahl konnten sich nur die nationalistischen und monarchistischen Parteien auf einen gemeinsamen Kandidaten einigen: Hindenburg. Die Kandidaten der Parteien der „Weimarer Koalition“ (das katholische „Zentrum“, die Liberalen und die SPD) und der KPD traten gegeneinander an. So wurde wurde Hindenburg mit knap­per Mehrheit gewählt.

Bei der nächsten Wahl 1932 stellte die NSDAP Hitler als Kandidaten auf, die SPD wollte einerseits Hitler verhindern, konnte sich andererseits nicht mit der KPD auf einen gemeinsamen linken Kandidaten einigen und unterstützte daher Hindenburg, der mit absoluter Mehrheit wiedergewählt wurde.

Warum hat Hindenburg Hitler zum Reichskanzler ernannt?

Die NSDAP hatte bei der Wahl am 31. Juli 1932 mit 37,3% ihr höchstes Ergebnis und stellte die stärkste Fraktion. Hitler forderte damals schon das Amt des Reichskanzlers – doch er bekam es nicht, Franz von Papen blieb Reichs­kanzler (bis er im Dezember durch Schleicher ersetzt wurde). Der Reichspräsident Hindenburg hatte nach Artikel 53 der Weimarer Verfassung die Befugnis, so zu ent­scheiden. Bei den Neuwahlen im November verloren die Nazis deutlich, sie erhielten nur noch 33,1%. Für Hitler und seine Förderer wurde es höchste Zeit zu handeln, wenn sie legal an die Macht kommen wollten. In der Villa des Kölner Bankiers von Schröder traf sich Hitler mit von Papen am 4. Januar, sie stellten die Weichen für den 30. Januar, an dem Hindenburg Hitler zum Reichskanzler ernannte.

Historiker wie Dieter Hoffmann5 machen für den Stimmungswandel Hindenburgs auch den „Osthilfe-Skandal“ verantwortlich, bei dem es um fehlgeleitete Subventionen für die Landwirtschaft ging, die in den Taschen adliger Großgrund­besitzer landeten. Hindenburg soll darin verstrickt gewesen sein. Dazu passt, dass die „Bergische Wacht“ aus Engelskirchen am 2.2.1933 angesichts der angekündigten Auf­lösung des Reichstags die Befürchtung äußert, „daß nunmehr der Osthilfeskandal … fein zugedeckt wird6

Wie unterstützte Hindenburg Hitlers Regierung?

Die Auflösung des Reichstags am 2. Februar mit dem Ziel von Neuwahlen entsprach auch Hindenburgs Wunsch, der sich – wie Hitler – eine verfassungsändernde Mehrheit für ein Ermächtigungsgesetz wünschte7, mit dem das Parlament entmachtet wurde. Um das gewünschte Wahlergebnis zu erhalten, erließ er am 4. Februar 1933 die „Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutze des deutschen Volkes“, die massive Eingriffe in die Presse- und Versammlungsfreiheit ermöglichte, und unterzeichnete Ende Februar die „Reichstagsbrandnotverordnung“. Die Konstituierung des neugewählten Reichstags am 21. März 1933 wurde als „Tag von Potsdam“ inszeniert. Hierbei entstand nicht nur das bekannte Foto, auf dem Hindenburg Hitler mit Handschlag bis weit in die Mitte der Gesellschaft salonfähig macht, Hindenburg ruft auch den gesamten Reichstag zur Unterstützung Hitlers auf: „ … ich hoffe von Ihnen, den Mitgliedern des neugebildeten Reichstags, daß Sie in der klaren Erkenntnis der Lage und ihrer Notwendigkeiten sich hinter die Regierung stellen und Ihrerseits alles tun werden, um diese in ihrem schwierigen Werk zu unterstützen.8

Am selben Tag wurden in Oranienburg und in Dachau die ersten KZs eingerichtet.

Hätte Hindenburg etwas verhindern können?

Hindenburg hat die Notverordnungen und die Gesetze der NS-Regierung unterzeichnet, er hat das Handeln der Regierung gesehen und zumindest hingenommen, wie z.B. die pogromhafte Boykottaktion gegen jüdische Geschäfte und Praxen am 1. April 1933, durch die in Gum­mersbach Frau Dr. Sophie Simons die Hälfte ihrer Patientinnen und Patienten verlor. Hatte er die Möglichkeit, anders zu handeln und Einfluss zu nehmen? Ja, die hatte er! Auf Grund seines großen Ansehens wurde seine Meinung auch von den Nazis gehört und ernst genommen. Das zeigt das am 7. April erlassene „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“, mit dem politische Gegner und auch „Nichtarier“ (also Juden) aus dem öffentlichen Dienst entlassen wurden. Hindenburg setzte sich am 4. April in einem Schreiben an Hitler für ehemalige jüdische Frontkämpfer ein, die im ersten Weltkrieg für das deutsche Kaiserreich gekämpft hatten. Das Gesetz erhielt daraufhin einen Absatz, der sie vorerst vor den Ent­lassung verschonte („Frontkämpferprivileg“). Dieser Vorgang macht deutlich, wie leicht es für Hindenburg war, die Politik Hitlers zu beeinflussen. Er hat also offensichtlich alle anderen Maßnahmen, auch die Verfolgung der Jüdinnen und Juden, die nicht unter das „Frontkämpferprivileg“ fielen, gebilligt und trotz seiner Möglichkeiten nichts verhindert.

1Wolfram Pyta, Hindenburg Herrschaft zwischen Hohenzollern und Hitler, Siedler, München 2007, S. 48

2Ebenda, S. 53

3Ebenda, S. 115

4Paul von Hindenburg: Aus meinem Leben. Hirzel, Leipzig 1920, S. 403

5Dieter Hoffmann Der Skandal – Hindenburgs Entscheidung für Hitler, Donat-Verlag Bremen 2020

6„Bergische Wacht“ Jahrgang 27, Nr. 27 vom 2.2.1933, S. 1, Verlag Jos. Schiefeling, Engelskirchen

7Wolfram Pyta, Hindenburg Herrschaft zwischen Hohenzollern und Hitler, Siedler, München 2007, S. 796

8Verhandlungen des Deutschen Reichstags, 8. Wahlperiode 1933, Staatsakt zur Feier der Eröffnung des Reichstags in der Garnisonskirche zu Potsdam, S. 5, https://www.reichstagsprotokolle.de/Blatt2_w8_bsb00000141_00009.html, abgerufen am 2.2.2023